Gewinnen wir Zeit durch KI?
Veränderungen durch technischen Fortschritt
Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in vielen Branchen und Lebensbereichen das beherrschende Thema. Die potenziellen Auswirkungen – von effizienteren Prozessen in Unternehmen bis hin zu grundlegenden Veränderungen im Alltag – lösen bei vielen KI-interessierten Fach- und Führungspersonen gleichermaßen Begeisterung und Skepsis aus. In seinem Gastauftritt im ARD-Podcast „KI und echtes Leben“ stellte der Philosoph Christian Uhle sein Buch zur gesellschaftlichen Transformation durch KI vor und gab eine philosophische Orientierungshilfe zum Umgang mit diesen Veränderungen. Ein zentrales Motiv ist dabei die Frage, ob KI uns zu einem sinnerfüllteren Leben verhelfen kann oder ob sie unsere bestehenden Muster – vor allem rund um Stress und Zeitdruck – lediglich verstärkt. Bemerkenswert ist Uhles Vergleich mit der Einführung der Waschmaschine: Obwohl sie Zeit und Mühe ersparte, nutzten wir den gewonnenen Freiraum nicht zur Stressreduktion, sondern füllten ihn wieder mit anderen Verpflichtungen.
Von der Waschmaschine zur KI
Die Geschichte technologischer Entwicklungen ist reich an Versprechungen: Computer sollten Routinearbeiten automatisieren, das Internet uns unbegrenzten Zugang zu Wissen verschaffen und Smartphones die Kommunikation revolutionieren. Jede dieser Innovationen hat ihr Versprechen in gewisser Hinsicht eingelöst, zugleich aber neue Herausforderungen mit sich gebracht. Genau in diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Diskussion um KI. Mit Algorithmen, die große Datenmengen auswerten und in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen können, scheint die Produktivität einen weiteren Sprung nach vorn zu machen. Unternehmen erhoffen sich enorme Effizienzsteigerungen, Kund:innen erwarten personalisierte Dienstleistungen, und staatliche Institutionen planen Verbesserungen im Bereich der Infrastruktur und Gesundheitsversorgung.
Allerdings war es bei der Waschmaschine nicht anders: Obwohl das manuelle Wäschewaschen zuvor Stunden in Anspruch nahm, füllte sich die dadurch gewonnene Zeit schnell mit anderen Aktivitäten. Statt Entlastung erleben viele Haushalte heute einen übervollen Terminkalender. Dies zeigt, dass technische Entwicklungen unsere Lebenswirklichkeit zwar tiefgreifend verändern, aber nicht unbedingt unsere Grundhaltung zum Umgang mit freier Zeit beeinflussen. Wir neigen dazu, sämtliche verfügbaren Freiräume sofort wieder zu verplanen – ob beruflich oder privat.
Übertragen auf die heutige Situation mit KI bedeutet dies: Wir gewinnen zweifellos Effizienz, doch mehr Produktivität führt nicht automatisch zu weniger Stress. Es obliegt uns selbst, aktiv darüber zu entscheiden, wofür wir die neu entstehenden Freiräume nutzen. Unternehmen und Mitarbeitende sollten gemeinsam reflektieren, wie die eingesparte Zeit sinnvoll eingesetzt werden kann. Denkbar sind etwa längere Erholungsphasen, mehr Raum für Kreativität oder gezielte Weiterbildung. Gerade im Business-Kontext könnte KI dazu beitragen, administrative Routinen zu minimieren, sodass mehr Kapazitäten für strategische Überlegungen oder zwischenmenschliche Kommunikation zur Verfügung stehen.
Zudem beeinflusst KI nicht nur unsere Arbeitsweise, sondern auch unseren Alltag: Von Chatbots, die Support-Anfragen bearbeiten, bis hin zu smarten Sprachassistenten, die Einkaufslisten erstellen – KI kann zahlreiche Routineaufgaben vereinfachen. Doch wenn wir nach Feierabend sämtliche Minuten mit weiteren To-dos füllen, werden wir abends dennoch das Gefühl haben, nicht zur Ruhe zu kommen. Das bewusste Setzen von Prioritäten und das Einüben digitaler Achtsamkeit werden daher immer wichtiger. In einer Zeit, in der nahezu alles „optimiert“ werden kann, stellen sich grundsätzliche Fragen nach Sinn und Lebensqualität: Was bedeutet es für uns, wenn wir Entscheidungen an Algorithmen delegieren? Wie erhalten wir ein Gefühl für Selbstbestimmung, wenn KI unsere Wege, unsere Kommunikation und unsere Zeitplanung maßgeblich mitgestaltet?
Gleichzeitig zeigt das Beispiel der Waschmaschine, dass Technologien gerade in ihrem Versprechen, lästige Arbeiten zu automatisieren, auch ein enormes Potenzial für Lebensqualität bieten. Das Bewusstsein, mit KI sinnvoll umzugehen, gewinnt dadurch an Bedeutung. Statt KI blind in jeden Prozess zu integrieren, müssen Entscheider:innen und Anwender:innen herausfinden, in welchen Bereichen die Automatisierung tatsächlich Mehrwert schafft – und wo menschliche Kreativität, Empathie und soziale Interaktion unabdingbar bleiben.
Ein entscheidender Schritt liegt darin, sich bewusst zu machen, dass KI nicht „gut“ oder „schlecht“ ist. Jede technologische Entwicklung kann sowohl Nutzen als auch Risiken mit sich bringen. Die Verantwortung dafür, wie wir mit KI arbeiten und wie wir diese Tools in unseren Alltag einbinden, liegt jedoch in unseren eigenen Händen. Genauso wie wir uns entscheiden können, den Rasenroboter einige Stunden allein mähen zu lassen und selbst ein Buch zu lesen oder einen Spaziergang zu machen, können wir KI-Prozesse so gestalten, dass sie uns tatsächlich Freiräume schaffen – statt uns zusätzlich zu stressen.
Es ist unsere Entscheidung!
KI eröffnet Unternehmen wie Privatpersonen neue Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung und Prozessoptimierung. Doch die Erfahrung mit früheren technologischen Revolutionen lehrt uns, dass der versprochene Zeitgewinn nicht automatisch zu weniger Stress führt. Wir selbst bestimmen, ob wir die neu entstandenen Freiräume für Sinn stiftende Tätigkeiten, Erholung und zwischenmenschlichen Austausch nutzen – oder ob wir sie erneut mit neuen To-dos füllen. Wer KI als Chance begreift, mehr Zeit für reflektiertes Arbeiten und ein bewussteres Leben zu gewinnen, kann ihren Nutzen maximieren. Schließlich liegt es nicht an „der KI“ allein, sondern an uns, ihre Potenziale bestmöglich zum eigenen Vorteil einzusetzen.